Texte über Erika Hubatschek

Erika Hubatschek – ein Porträt von Joël Jenin

(2002)

Mit dem Fahrrad unterwegs

Sommer 1939, auf der Landstraße in den Lungau. Eine junge Frau im Dirndl tritt energisch in die Pedale. Erika Hubatschek, Doktorandin der Universität Innsbruck, ist am Weg zu „ihren“ Bergbauern im Zederhaustal. Die Lenzler-Familie hat sich an die ungewöhnliche Gegenwart der jungen Frau, die ihren Fotoapparat immer griffbereit hat, gewöhnt. Erika fragt viel und notiert viel, gerne erzählen die Bauern von ihrer Arbeit. Fast wie um die Gespräche zu verlängern, greift Erika manchmal zu Rechen oder Mistgabel, um Heu zusammenzurechen oder Mist auszubreiten. Abends findet sich immer ein Platz zum Übernachten für sie.

Noch heute schwärmt sie davon, wie sie als junges Mädchen von den dreistimmigen Gesängen der Mäher, die hinter dem Elternhaus ihrer kleinen Heimatstadt in der Obersteiermark eine steile Wiese mähten, geweckt wurde! Die Tochter und Enkelin eines evangelischen Pfarrers kommt mit 16 Jahren zum ersten Mal auf den Bauernhof ihres Großonkels im Gailtal. Die Reise, fast 200 km, hat sie mit dem Fahrrad zurückgelegt. Später nimmt sie an den bäuerlichen Arbeiten teil und lernt so die Handgriffe des bäuerlichen Arbeitens kennen, einer Welt, die sie ihr Leben lang fesseln wird.

Nach dem Gymnasium liebäugelt Erika mit der Hochschule für Bodenkultur – doch dies ist zu der Zeit für ein Mädchen aus nichtbäuerlichem Milieu undenkbar. So wählt sie schließlich das Studium der Geografie, wo sie einige Jahre später mit einer volkskundlichen Arbeit über die Almen und Bergmähder des oberen Lungaus dissertieren wird. Bestimmend in ihrer Arbeit ist die Idee, dass der Bergbauer durch seine Arbeit die Landschaft gestaltet – eine für uns heute vertraut klingende Idee, die aber damals durchaus neu war.

Die erste größere Untersuchung macht Erika Hubatschek im Stubai, anschließend im Lungau, später dann in Kärnten sowie in vielen Tälern Tirols mit Schwerpunkt Stubai, Tux und Kaisergebiet.

Von den Bergen zu den Bergbauern

Die gesamte Arbeit von Erika Hubatschek befasst sich mit den Bergbauern und deren Arbeit, aber auch mit den Bauern als den Bewohnern der Alpen. Ihre ursprüngliche Liebe allerdings gilt den Bergen selbst – in ihren frühen Negativen finden sich übrigens fast nur Bergbilder!

Allmählich haben die Bergbauern in ihrem fotografischen Schaffen den vordersten Platz eingenommen, und Erika Hubatschek hat ganz persönliche Beziehungen zu ihnen entwickelt. Der Berg ist überall in ihrem fotografischen Werk präsent, als Lebensraum des Bergbauern, als Raum, der diesem Leben seinen Rahmen und seine Dimension gibt.

Es ist der Versuch, den Berg in seiner gesamten Dimension darzustellen: ausgehend vom Tal, wo die Spuren des Menschen am sichtbarsten sind, über die Almen, die der Mensch nur zeitweise gestaltet, bis hinauf in das Hochgebirge außerhalb des menschlichen Lebensraumes. Und immer behält der Berg recht – die Bilder von entwurzelten Bäumen oder von durch Lawinen zerstörten Heustädeln sprechen eine deutliche Sprache.

Als Frau allein am Berg

In der bergbäuerlichen Welt der 30er-Jahre hat die Frau ihren genau definierten Platz: Sie kümmert sich um die Kinder und das Haus, arbeitet am Feld oder im Stall mit und teilt auch die mühevollsten Arbeiten. Auf den Lungauer Almen sind die Frauen sogar in der Überzahl: Von 135 Personen Almpersonal sind 71 Frauen, während des Krieges sind sogar zwei Drittel Frauen.

Überraschend das Bild aus Tux, wo zwei Frauen einen Pflug ziehen, der Mann dahinter drückt das Sech in den Boden. Für Erika Hubatschek ist es, genau wie die anderen Bilder, nur eine Frage von Arbeitsmethoden und der Schwierigkeiten des bergbäuerlichen Lebens, sie ist immer wieder erstaunt über die Bestürzung, die dieses Bild hervorruft! „Das Ziehen ist nicht die schwerste Arbeit, sondern den Pflug niederdrücken, und das macht der Mann!“ Sie muss es ja wissen, hat sie doch selbst diesen „Vorpflug“ gezogen.

„Ein Bauer ohne eine Bäuerin ist wie ein Haus ohne Dach!“, sagt der Tiroler Bauer. Die Frau existiert nicht um ihrer selbst willen. In der damaligen bergbäuerlichen Welt war es undenkbar, Forderungen nach Unabhängigkeit oder Freiheit zu stellen, das mochte allenfalls auf Städterinnen zutreffen … Die Bäuerinnen haben die junge Erika Hubatschek aber schnell akzeptiert – unzählige Freundschaften haben sich über 60 und mehr Jahre erhalten. Sie konnte diese persönlichen Beziehungen aufbauen, weil sie sich für die Menschen und ihre Arbeit interessierte.

In den Bildern von Erika Hubatschek kommt den Frauen eine große Bedeutung zu, sie sind ja omnipräsent in den bäuerlichen Arbeiten. Meist hat sie sie bei der Arbeit aufgenommen: nicht nur bei den verschiedensten häuslichen Arbeiten, nein auch beim Hacken und Mähen, beim Misttragen in Ruckkörben und beim Heuziehen, vielleicht nur das winterliche Heuziehen mit dem Schlitten und das Holzziehen blieb ihnen erspart. Und mancherorts waren es auch Frauen, die als „Bötin“ Zucker, Weißbrot, Kaffee, Öl, … auf dem Rücken hinauf in das Tal trugen.

Von den Beziehungen zwischen Frauen und Männern sagen uns die Bilder von Erika Hubatschek nicht viel. Man mag verwundert sein über das Bild des Hirten, der die beiden Frauen um den Hals nimmt, im Hintergrund zwei Schweine. Ist es abartig, damit eine Welt in Verbindung zu bringen, in der der Mann regiert? Aber die beiden Frauen lächeln doch …

Auch sechzig Jahre später wird Erika Hubatschek nicht darauf eingehen, dass es vielleicht doch etwas ungewöhnlich war, als junge Frau allein die Berge zu durchstreifen. Kurz nach dem Kriege trieb in Tirol „der Zingerle“ sein Unwesen: Zuerst soll er eine Frau ermordet haben, dann geflüchtet sein und sich seither auf Tiroler Almen aufhalten. Man riet Erika Hubatschek, immer ein „Pfefferbüchsl“ griffbereit zu halten! Zwar hatte Erika Hubatschek keine Begegnungen dieser Art, war aber doch in der Nachkriegszeit manchmal auf markierten Schmugglerwegen unterwegs!

Der Blick des Bauern

Franz Hofer, Altbauer in Neustift im Stubai, kennt Erika Hubatschek seit dem Jahr 1942. Auf Fronturlaub war er zu Hause, als Erika Hubatschek sich mit Fragen an ihn wandte. Heute, mit seinen 90 Jahren, ist Franz noch kaum gebeugt, und der Kontakt ist in den über 60 Jahren immer lebendig geblieben. Schon damals verstand er sich gut mit der jungen „Frau Doktor“, der es gelang, sich an das bäuerliche Milieu anzupassen und akzeptiert zu werden. „Sie stellte sehr präzise Fragen, und als ich darüber erstaunt war, sagte sie, dass sie viel darüber gelesen und auch beobachtet hatte.“ Und seine Frau Marie fügt hinzu: „Alle ihre Fragen hatten Hand und Fuß!“

So manches Mal kam Erika Hubatschek auch mit Skiern bei Franz vorbei, er erinnert sich noch, sie immer vor Skitouren allein gewarnt zu haben: „Aber sie war eine gute Skifahrerin, und ich war ja ähnlich, ich war viel ganz allein am Berg, also konnte ich ihr nicht allzu sehr die Leviten lesen!“

Die Bauern nannten sie die „Frau Doktor“. Auch wenn Erika Hubatschek gerade erst 20, 21 Jahre alt war, als sie ihre erste Untersuchung im Stubai machte, wurde sie respektiert: eine Frau aus der Stadt, und eine „g’studierte“ noch dazu! Wie ihr einmal ein alter Bauer anvertraute: „Ja die G’studierten und meine Jochochsn, die arbeitn beide mit’m Schädl!“

Doch manchmal war die Kontaktaufnahme auch etwas schwieriger. Erika Hubatschek erinnert sich an ihre Begegnung mit einem Bauern im Rahmen ihrer Almbegehungen für die Tiroler Landwirtschaftskammer: Der Bauer, den sie über seine Alm befragen möchte, ist gerade beim Mähen. Ihr Gruß und ihre Fragen berühren ihn nicht, keine Antwort. Sie versucht, ihm klarzumachen, dass dieser Fragebogen von Wichtigkeit ist, wenn er einmal im Zuge eines Neubaues um eine Subvention ansucht … Da öffnet er zum ersten Mal den Mund und sagt: „ I brauch koane Sumpvention nit.“ Dann weiß die junge Frau Doktor auch nicht mehr so recht weiter! Doch da geht gerade die Bäuerin zum Essenrichten in das Haus und hängt ihre Sense auf. Erika Hubatschek nimmt diese und beginnt hinter dem Bauern parallel einherzumähen. Am Ende der Wiese dengelt der Bauer auch ihre Sense, wortlos. Als die ganze Wiese fertiggemäht ist, sagt er zu ihr: „So, iatz geasch mit ins essn!“ Und hat natürlich all ihre Fragen beantwortet …

Die wissenschaftliche Neugier

Erika Hubatschek ist Geografin und fühlt sich der Humangeografie verpflichtet. In ihren Feldforschungen hat sie stark ihrer Intuition vertraut, das Studium damals war noch weniger auf die wissenschaftlich-quantitativen Untersuchungsmethoden ausgerichtet als heute. Auch galten bei den Bergbauern andere Maßeinheiten: Für sie war es vor allem wichtig, eine ausreichende Menge Heu im Stadel zu haben, um bis zum nächsten Sommer das Auslangen zu finden!

Im Lungau hat Erika Hubatschek im Sommer 1939 über neunzig Almen begangen und dabei u. a. die transportierten Heumengen berechnet. So haben zum Beispiel auf der Steinbaueralm (2 093 m) sechs Männer im Laufe des Almsommers 13 200 kg Heu gemäht und ins Tal gebracht. Und im ganzen Oberlungau waren es etwa 400 Tonnen!

Ohne sich theoretischen Strukturfragen zu stellen, wie zum Beispiel die französischen Ethnologen Claude Levi-Strauss oder Robert Jaulin, hat Erika Hubatschek sich ihre eigene Arbeitsmethode zurechtgelegt: Um zu wissen, muss man das Tun kennen. Mähen oder Mist austragen reichen ihr nicht, sie macht auch Zaunringe, zieht den Vorpflug und hilft „Erdauftragen“. Und als Frau natürlich auch Wolle und Flachs spinnen und weben …

Erika Hubatschek war auf all diesen gebirgigen Wegen immer mit viel Neugier und ganz praktischen Fragen unterwegs: Warum bindet und trägt der Stubaier Bauer sein Heu anders als der Ötztaler?

Die fotografische Annäherung

„Ich bin weder Bäuerin noch Fotografin, sondern Geografin!“ Dieser oft gehörte Ausspruch von Erika Hubatschek skizziert sie gut: Das Foto als solches war für sie nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, das ihre Aufzeichnungen und Forschungen ergänzte. Und wenn man ihr entgegenhält, dass all diese Porträts von Bauern, Frauengesichtern oder spielenden Kindern keinen direkten Bezug zum Heueinbringen auf den Almen haben, so entgegnet sie, dass für sie das Leben der Bergbauern eben ein Ganzes sei, wo jedes Element seine eigene Wichtigkeit hat.

Ihr erster Fotoapparat war damals eine ganz einfache Kodak Retina, sie zählte ihre Schritte, um die Entfernung zu messen! Vom Belichtungsmesser gar nicht zu reden … Sie muss noch heute lachen, wenn sie an die Unbefangenheit denkt, mit der sie an die Fotografie heranging: Brennweiten, Tiefenschärfe oder Bildaufbau waren für sie kein (bewusstes) Thema. Aber muss man wirklich die Grammatik kennen, um Gedichte zu schreiben? Ihr Blitzlicht war ein Säckchen mit Magnesiumpulver („Orion, das rauchlose Blitzlicht“), ein ungeheurer Fortschritt. Fotografieren damals war aufwendig, vor allem teuer, ganz besonders während des Krieges und in der Nachkriegszeit. Manchmal musste Erika Hubatschek sich jahrelang mit winzigen Kontaktabzügen begnügen, ehe sie ein Foto das erste Mal wirklich als solches in Händen halten konnte. Auch ist auffallend, dass auf den Negativstreifen von noch so interessanten Motiven oft nur ein einziges Foto gemacht wurde: Der Film musste eisern gespart werden.

Wieso berühren uns manche ihrer Fotos heute so ungemein? Eine verschwundene Welt? Eine heile Welt? Ein Blick in unsere Seele? Hat sie anders fotografiert, als es ein Mann getan hätte? Sicherlich, die spielenden Kinder, die trocknende Wäsche, die Essenszubereitung, alles Splitter des Alltäglichen, die dem femininen Blick stärker ins Auge springen.

Auf anderen Bildern wiederum besticht die Intensität des Blickes aus einem Bauerngesicht, aus Augen, die als Gegenüber den Horizont der Bergketten kennen. Oder die Intensität der körperlichen Anstrengung, die aus der inneren Spannung zwischen der physischen Erschöpfung und dem Willen, das gesetzte Ziel zu erreichen, entsteht: sei es das Ende des Feldes für Kröl oder Sense oder die Alm mit dem schweren Korb am Rücken oder der Hof mit der Heubure. Oder die Intensität der Handgriffe, Abbild der Kraft, die es in der Hand braucht für die stundenlange Arbeit, und Menschen, die seit ihrer Kindheit gewohnt sind, den Kräften der Natur zu widerstehen. Sengender Sommersonne, eisigem Winterwind. Eine gemeinsame Kultur der Menschen „dort oben“, von Savoyen über das Berner Oberland zum Stubai.

Schwer scheint es heute vorstellbar, in welcher Isolation die Bergbauern lebten, in einer un-bildlichen Welt, das Hochzeitsfoto und Heiligenbilder einmal ausgenommen: Für sie ist ein Fotoapparat in der damaligen Zeit ein geradezu exotisches Objekt. Was für die Bauern realer war, war der Bezug zu dem Menschen, der sie fotografiert, zu Erika Hubatschek. „Ich spürte einfach, wann es richtig war, sie zu fotografieren.“ Bezeichnend für die Fotografin, dass sie zum Beispiel in ihrem Buch „Almen und Bergmähder im oberen Lungau“ für jedes Foto die Namen der abgebildeten Personen angibt – für sie sind es nicht Bauern, die diese oder jene Arbeit ausführen, sondern Menschen, zu denen sie einen Bezug hat.

Erika Hubatschek erfasst im Bild all diese Handgriffe des Bergbauern: auf den steilen Bergmähdern mähen (manche sind so steil, dass mit Steigeisen gearbeitet wurde!), eine Heutriste machen und dann das Heu im Winter ins Tal bringen … Manchmal haben die Bauern in einer Arbeit für das Foto innegehalten, aber die Bilder sind nicht gestellt. Die Menschen scheinen manches Mal geradezu sagen zu wollen: „So sind wir!“

Erika Hubatschek ist nicht die einzige Fotografin, die mit den Bergbauern in diesem Teil der Alpen gearbeitet hat: Simon Moser, Peter Paul Atzwanger, Hermann Leischner, Ernst Brunner oder weiter im Osten Martin Martinek. Die Arbeit von Erika Hubatschek ist gekennzeichnet von großer Einfachheit, ohne jede Gekünsteltheit, ohne Opportunismus für Lichtsituationen. Mit Abstand und Zurückhaltung, wenn sie die Menschen bei anstrengenden Tätigkeiten fotografiert, ohne Zoom auf die Schweißperlen auf der Stirne. Auch die anstrengendste Arbeit sieht sie aus ihrem Blickwinkel, und die Berge als Hintergrund geben den Rahmen. Es sind nicht nur Männer und Frauen, die den Boden bearbeiten, um Roggen zu säen oder Kartoffeln zu setzen, sondern Menschen, die sich mit all ihrem Willen mit der Natur des Berges auseinandersetzen, die um so vieles stärker ist als sie. Der Titel einer ihrer Ausstellungen in den USA lautete sehr treffenderweise: „This field on my back“. Der Bergbauer als Bauer des Steilhanges, gleichsam ein Adelstitel.

Im Vergleich zur heutigen Zeit mit ihrer Tendenz zur Reduktion der Arbeitszeit, damit das Leben „besser“ wird, bestand das Leben der Bergbauern von Erika Hubatschek fast nur aus Arbeit. Urlaub und Freizeit waren (und sind ja zum Teil auch heute noch) Fremdwörter. Also mussten die Menschen wohl sehr unglücklich sein … „Aber wenn das Leben nur hart gewesen wäre, hätten die Menschen dann Jodler und Lieder gesungen oder Werkzeuge verziert oder Möbel geschnitzt?“

Die Fotos von Erika Hubatschek berühren uns, weil sie eine anscheinend bereits so ferne Welt doppelt hinterfragen: Wie konnten die Menschen so leben? Und wie weit haben wir uns in den wenigen Jahrzehnten, die seither vergangen sind, von diesen Lebensweisen entfernt?

Wege am steilen Hang

„Was wurde nicht alles hinauf- und hinuntergetragen, ein ganzes Bergbauernleben, mit all seinen Hoffnungen und Sorgen: die Saat, eine gute Ernte, das tägliche Brot, Sorge um Haus und Hof und die Gesundheit von Mensch und Vieh …“ Erika Hubatschek hat sich zeitlebens eine Bewunderung erhalten für die Arbeit des Bergbauern, sie sieht sich als eine sehr privilegierte Beobachterin: Die Hauptdarsteller sind die Bergbauern. Von sich selbst zu erzählen, interessiert die alte Dame wenig, sehr schnell kehrt jede Konversation zurück zu der Welt „dort oben“.

Sechzig Jahre später ist sie, inzwischen etwas gekrümmt, immer noch unterwegs zu „ihren“ Bergbauern: ein Besuch, ein Lied aufzeichnen, alte Fotos kommentieren oder ganz einfach Milch oder Kartoffeln holen. Auch heute noch (2007) hält Erika Hubatschek Vorträge – wenn es sein muss drei Stunden ohne jede schriftliche Unterlage, nur mit ihren Dias! Wenn sie die Vorträge zusammenstellt und aus den Tausenden von Dias auswählt, die sie seit 1938 gemacht hat, kann sie genauso gut über die Verschiedenartigkeit der Techniken des Heubindens erzählen oder über Erlebnisse bei den Bergbauern, mit deren Worten erzählt sie von deren Leben. Einfache Worte, die eine Lebensphilosophie ausdrücken, von Mut und Beharrlichkeit erzählen, von Menschen, die das Leben auf den Steilhang gestellt hat. Jeder von ihnen trägt die Erinnerung an die tausendfache Wiederholung bestimmter Handgriffe in sich, jener wesentlichen Teilchen des Wissens um die Arbeit. Nur der, der die Müdigkeit in Rücken, Armen und Beinen nach einem langen Arbeitstag beim Mähen auf den steilen Wiesen selbst verspürt hat, weiß um die Mühe, am Steilhang zu (über)leben.

Bei Erika Hubatschek sind Arbeit und Leben ebenso untrennbar wie beim Bauern: Die Welt der Bergbauern ist für sie kein Arbeitsthema, sondern ein Pol ihres persönlichen Lebens, ein Drang nach Wissen und Austausch, der immer noch lebendig ist. Sie erzählt von deren Leben etwa so wie eine Reisende, die so lange an einem Ort geblieben ist, dass ein ganzes Leben daraus geworden ist.

Konsequent ist sie diesen Weg gegangen, und um „ihren“ Bergbauern gerecht zu werden, hat Erika Hubatschek im Alter von 67 Jahren einen eigenen Verlag gegründet. Ihr „Klassiker“, das „Bauernwerk in den Bergen“ hat acht Auflagen erreicht. Und als ob das nicht genug wäre, beginnt sie im Alter von 80 Jahren jedes Jahr einen großformatigen Bildkalender aufzulegen!

Alltag am Berg

Die Berge hat Erika Hubatschek sommers wie winters durchstreift, denn mit dem Schnee zieht sich der Bergbauer ja nicht hinter den Ofen zurück! Er nützt(e) den Schnee aus, um sein Heu mit dem Schlitten vom Berg zu holen, oder zur Holzarbeit. Und Erika Hubatschek war zur Stelle, mit ihrem Fotoapparat, am Berg, im Schnee. Einfach, weil der Bergbauern-Alltag hier oben weiterging. Im Frühjahr dann, wenn unten der Schnee bereits geschmolzen war, streute der Bergbauer Asche auf die noch verschneiten Felder, um die Schneeschmelze zu beschleunigen und so dem Jahr ein paar Tage abzuluchsen, um seine Felder früher bearbeiten zu können.

„Ein gutes Jahr, ein schlechtes Jahr …“ sang schon Jean Ferrat im Lied „Der Berg“. Die Gesamtheit der Erfahrungen eines rauhen Lebens gibt das Recht, davon zu erzählen. Erika Hubatschek hat Worte und Erzählungen aufgezeichnet, die sonst schnell verloren gegangen wären, vergessen auch von denen, die sie gesagt haben.

Auch wenn Erika Hubatschek im Grunde ihres Herzens sich einer gewissen Nostalgie über Vergangenes nicht erwehren kann, bleibt sie den heutigen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen. Seit über sechzig Jahren hat sie die Welt der Bergbauern durchstreift und dabei ein beträchtliches Wissen angesammelt. Und ebenso wie jene Ötztaler Bäuerinnen, die mit einem Almrosenbesen das Heu zusammenkehrten, das zuhöchst oben so kurz war, dass es zwischen den Rechenzähnen hindurchgeglitten wäre, ebenso hat Erika Hubatschek nie aufgehört, die bäuerliche Welt zu durchstreifen, um auch die kleinsten Krümel noch aufzulesen von einer Welt, die im Verschwinden begriffen ist.

 

© Joël Jenin, 2006, Übersetzung: Irmtraud Hubatschek

Auszug aus der Laudatio zum 90. Geburtstag von Gunther Waibl

(Klagenfurt, 2. 10. 2007)

Wenn man zurückblickt, was vor 90 Jahren war bzw. was alles an Weltgeschehen in diesen neun Jahrzehnten passiert ist, dann wird einem dieser Zeithorizont erst richtig bewusst. 1917, das heißt – der Erste Weltkrieg war noch nicht beendet und er hieß auch gar nicht so, denn dass es bald schon einen zweiten geben würde, wusste man zum Glück noch nicht. Die Weltwirtschafskrise war noch Zukunft, die Eisenbahn noch gar nicht so alt, bestimmte Strecken in den Alpen waren gerade mal 10, 20 Jahre alt, ebenso waren Automobile noch etwas Rares, etwas Besonderes, die Fotografen arbeiteten noch vielfach mit Glasplatten, der Rollfilm steckte in den Kinderschuhen. Fünf Mal hat Erika Hubatschek in ihrem Leben neue Währungen erlebt – und was sich sonst noch alles zugetragen hat, das weiß sie selbst am besten und wir können es erahnen. Ein Leben reich an Erlebnissen und Erfahrungen, aber umso reichhaltiger, weil sie es selbst so aktiv gestaltet und mitgestaltet hat.

Dr. Erika Hubatschek ist eine Persönlichkeit mit einer beispiellosen Energie und Kraft, mit so viel Optimismus, bescheiden – hierbei übertreibt sie manches Mal- und sie hat unglaublich viel geschaffen. Nun, diese vielseitige, vielschichtige Persönlichkeit hier und jetzt angemessen zu beschreiben, ist natürlich gar nicht so einfach und kann nur ansatzweise, sozusagen als Versuch erfolgen. Ich möchte es mit drei Begriffen, mit drei Wesenszügen versuchen – Neugierde, Ehrlichkeit und Mitteilsamkeit.

Eine zentrale Triebfeder für Erika Hubatschek war und ist im Grunde immer noch die Neugierde. Neugierde ist für Erika Hubatschek offen sein für Neues, für bisher unerforschtes, für Begegnungen mit Menschen – also Wissbegierde, Entdeckerfreude. Ohne diesen Charakterzug hätte sich die damals junge Wissenschaftlerin nicht aufgemacht, die abgelegene Welt der Bergbauern zu erforschen und dies unermüdlich ein Leben lang zur ihrer Hauptaufgabe gemacht. Und es ist einmalig, wie diese Neugierde sie ein ganzes Leben lang begleitet hat und ihr auch in einem Lebensabschnitt, wo andere Mitmenschen seit Jahren und Jahrzehnten ruhige Rentner sind, Ansporn und Kraft gibt für ihre stete Tätigkeit.
Positiv auch deshalb, weil diese Neugierde mit Ehrlichkeit gekoppelt ist. Erika Hubatschek ist stets mit großer Offenheit den Menschen und Themen gegenüber getreten, sie wollte einfach sehen, erleben, festhalten wie es ist. Also keine falschen Anbiederungen, keine Beschönigungen, keine Illusionen einer heilen Welt, wie sie gern und oft in der Alpen-Literatur vorkommen. Vielmehr realitätsnah, nüchtern, wissenschaftlich geprägt waren und sind ihre Begegnungen mit der Welt der Bergbauern und was sie darüber berichtet.

Ja, darüber berichten! Erika Hubatschek ist keine Wissenschaftlerin, verschlossen in verstaubten Archiven, nein, sie lässt uns teilhaben an ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Erkenntnissen. Mit ihren unzähligen Fotografien, den vielen Aufsätzen, Büchern, Ausstellungen, den Kalendern und Lichtbilder-Vorträgen. Das habe ich mit Mitteilsamkeit gemeint, man könnte auch Kommunikationstalent dazu sagen. In ihrer sympathischen Art, mit ihren fundierten Kenntnissen begeistert sie seit Jahrzehnten Menschen. Wer ihre Bücher kennt, ihre Kalender bei sich zu Hause hängen hat, wer ihre so lebendigen, anschaulichen und packenden Vorträge erlebt, weiß, was ich meine. Und dass dies alles von ihrem Haus in Innsbruck aus geschieht, dem Sitz ihres eigenen Verlages, ist kaum zu glauben – vom Schreiben der Texte bis hin zum Schreiben der Rechnungen. Es ist ihr eben ein Herzensanliegen, Botschafterin der Bergbauernwelt zu sein, ein Lebensauftrag, den sie grandios gemeistert hat.

Geboren wurde Erika Hubatschek 1917 in Klagenfurt, sie wuchs in der bergigen Obersteiermark auf, in Bruck an der Mur. Ihre Familie wohnte am Stadtrand, so war der Kontakt zur Natur und zur Landwirtschaft gegeben. Dazu kamen Wanderungen und die damals beliebten Fahrradausflüge, auch weite Strecken, bis nach Osttirol etwa. Und auch die Familiengeschichte wirkte nach – ihr Großvater war ein weichender Bergbauernsohn aus dem Gailtal gewesen. Mit 16 Jahren kam Erika Hubatschek erstmals auf den Hof ihrer Vorfahren und dies hat ihr einen nachhaltigen Endruck verschafft – es war im Sommer, in den Schulferien und die Oberschülerin konnte, mußte bei der Arbeit mit anpacken, auf dem Feld, bei der Heuarbeit. Und, nicht selbstverständlich für ein Madchen aus der Stadt, die Bauernarbeit gefiel ihr. Obwohl selbst niemals Bäuerin, diese Welt hat sie das ganze Leben nicht mehr losgelassen, in der wissenschaftlichen Forschung und in der photographischen Dokumentation. So zielte nach der Matura 1935 ihr Studienwunsch auf die Hochschule für Bodenkultur; aber dies war damals für eine junge Frau, die nicht aus einer Gutshof- oder Bauernfamilie kam, unmöglich gewesen, hat sie mir einmal erzählt. In ihr Konzept passte dann noch Geographie und Volkskunde; dieses Studium nahm sie in Graz auf und schloss es in Innsbruck mit dem Doktorat ab, mit einer kulturgeographisch-volkskundlichen Dissertation über Almen und Bergmähder im Lungau, bei den Professoren Hans Kinzl und Hermann Wopfner. Es folgten dann viele Jahre der Lehrtätigkeit.

Während der Studienzeit war es, als Erika Hubatschek zu photographieren begann. Auf Anraten des legendären Bergsteigers Wastl Mariner erstand sie eine Kleinbildkamera, eine Retina mit fixem 50-mm-Objektiv, eine äußerst einfache, aber handliche Kamera ohne Belichtungsmesser oder sonstige technische Hilfen. Erika Hubatschek war Autodidaktin, ihre Kenntnisse eignete sie sich einfach durch Übung und Erfahrung an, Vorbilder hatte sie kaum. Dies erlaubte ihr, einen eigenständigen Weg zu finden, über die eigene Erfahrung, unvoreingenommen, manchmal geradezu avantgardistische Blicke mit traditionellen Sehweisen verknüpfend. Die allerersten Aufnahmen entstanden noch als Freizeitvergnügen im Hochgebirge, bald schob sich aber die dokumentierende Absicht in den Vordergrund. Die Gestaltung, bzw. Umgestaltung, der Landschaft durch die Bauernarbeit war Teil ihrer geografischen Studien, die Verbindung der beiden Komponenten – die Landschaft und der Mensch, der sie umformt – waren ihr Leitthema. Aufnahmen also, die sie bei ihrem Geografie-Studium benötigte, aber auch beflügelt vom Wunsch, den Mitmenschen zu sagen und zu zeigen, wie viel Aufwand und Mühe in der gesellschaftlich notwendigen Bauernarbeit steckt.

Bis zu diesem Abschnitt wäre die Biographie Erika Hubatscheks noch nicht so außergewöhnlich. Aber die nun beginnende, sich über Jahrzehnte in unverminderter Intensität und Leidenschaft hinziehende Bestandsaufnahme bäuerlicher Arbeitsweisen und Lebenswelten aus unmittelbarer Nähe ist einmalig – zumal das Ergebnis keine bloß reproduzierende Chronik wird, sondern die Produktion einer eigenständigen Bildwelt, in der Darstellung und Lebensstil eins werden. Denn der Aufnahmestandpunkt Erika Hubatscheks war ein besonderer: mit dem distanzierten Auge des akademischen Städters einerseits, andererseits aber in seltener Unmittelbarkeit als Mitarbeiterin bei der Bauernarbeit. Ihre Freizeit verbrachte sie stets bei Bauernfamilien, mit denen sie bald eine enge Freundschaft verband und immer half sie bei der Arbeit am Hof und auf dem Feld mit.

Wenn sie im Dirndl, wie damals üblich, bei der Feld- oder Heuarbeit war, hatte sie stets einen kleinen Notizblock eingesteckt und ihre Retina. Ergab sich ein interessantes Motiv oder ein spezieller Arbeitsaspekt – die Aufnahme war schon gemacht. Sie wollte Teil jener Welt sein, die sie photographierte, Anteil haben. »Aufnahme« war mithin ein vielschichtiger Prozess – Neues, Erlebtes und Geschautes in sich aufnehmen, mit der Kamera aufnehmen, aber auch von den Bauern aufgenommen, akzeptiert werden. Gerade in der wenig gesprächigen, von latentem Misstrauen gegenüber Außenstehenden geprägten bäuerlichen Welt war es entscheidend, nicht als »Fremde« angesehen zu werden, sondern als »eine von uns«. Und da konnte das Mitarbeiten, das Mähen mit der Sense, das Pflugziehen oder Garbenbinden, weitaus bessere Brücken bauen als viele Worte. Für die Photographie ergab das eine besonders günstige Ausgangsposition ohne Distanz und Scheu – also keine Photos »von oben«, sondern von derselben, gleichberechtigten Warte aus.

Kein Blick ist nostalgisch oder heroisierend – wie bei vielen anderen Fotografen dieses Genres – ihre Bilder zeigen Nähe, Unmittelbarkeit und Menschlichkeit, es ist ein anteilhafter Blick, eine human photography. Auch in der Landschafts-, Gebäude- und Objektfotografie fand sie eine klare, moderne Formensprache, noch heute von faszinierender Frische. Eine Fotografie also mit eigener Handschrift, authentisch und glaubwürdig, wo sich ungezwungener Realismus und das Gefühl für das Schöne glücklich die Waage halten.

Erika Hubatscheks Bildbände, ihre Fotografien sind zwar längst Klassiker, aber sich auf den Lorbeeren ausruhen ist für Erika Hubatschek kein Lebensmotto. Im Gegenteil. So ist es auch bezeichnend, dass ihre Fotografien eine neue Perspektive erhalten haben, nämlich in dem vor wenigen Monaten erschienenen Bildband „Auf den zweiten Blick“. Den mittlerweile historischen Bildern von Erika werden darin aktuelle Aufnahmen ihrer Tochter Irmtraud Hubatschek hinzugefügt bzw. gegenübergestellt. Dazwischen liegt oftmals eine Zeitspanne von zwei Generationen. Dies ergibt eine neue Dimension der Betrachtung, einen spannenden Zeithorizont, ihr Fotoarchiv ist und bleibt lebendig.

 

© Gunther Waibl, 2007

Alpenlandschaften als Produkt bäuerlicher Arbeit

Festschrift Bätzing, 2007 (Auszug)

Die Fotos von Erika Hubatschek – mehr als die Dokumentation einer untergegangenen Welt
Ein Beitrag von Prof. Dr. Werner Bätzing in der Festschrift für Dr. Erika Hubatschek „Bergwelt im Wandel“, Klagenfurt, 2007

Zum Stellenwert der Fotos von Erika Hubatschek

Die Fotos von Erika Hubatschek zeigen eine Welt, die den meisten heutigen Menschen genauso fern sein dürfte wie das Mittelalter, obwohl die Fotos „nur“ aus den Jahren seit 1939 stammen.

Es stellt sich die Frage, warum die Fotos von Erika Hubatschek so außergewöhnlich sind, wo doch in den Alpen seit der Erfindung der Fotografie so viel und so intensiv fotografiert wurde ? Die Fotografien von Erika Hubatschek zeichnen sich durch zwei spezifische Zugänge aus: Erstens verfügt sie über eine einschlägige Fachausbildung im Bereich Geographie und Volkskunde, was es ihr ermöglicht, Landschaften und Arbeitsweisen sehr aufmerksam zu beobachten und dabei Dinge und Sachverhalte zu erkennen und zu „sehen“, die viele Andere übersehen; und dieser Hintergrund erklärt auch den systematischen, teilweise sogar enzyklopädischen Charakter ihrer Aufnahmen. Zweitens gelingt es ihr, persönliche Beziehungen zu den abgebildeten Menschen herzustellen, was auf vielen Fotos gut sichtbar ist: Damit kann sie die Falschheit und Sterilität künstlich gestellter oder arrangierter Fotografien vermeiden, und ihre Bilder wirken ausgesprochen lebendig und authentisch. Diese soziale bzw. kulturelle Nähe ist jedoch nicht einfach spontan vorhanden, sondern sehr voraussetzungsträchtig: Erika Hubatschek arbeitet oft auf Bauernhöfen mit, bevor sie die bäuerlichen Tätigkeiten sozusagen mit wissenschaftlich geschultem Blick von innen heraus fotografiert, und es liegt auf der Hand, dass dann ganz andere Bilder entstehen, als wenn ein Fremder die gleichen Arbeiten fotografieren würde.

Diese beiden Voraussetzungen – Fachausbildung und soziale Nähe – sind entscheidend dafür, dass die Bilder von Erika Hubatschek nicht nur Einblick in eine selten fotografierte Welt geben, sondern dass ihre Bilder auch eine so große inhaltliche, menschliche und formale Qualität besitzen, dass man sie als eine der bedeutendsten Fotodokumentationen der bäuerlich geprägten Alpen im 20. Jahrhundert bezeichnen muss.

Zur Interpretation dieser Fotos

Die Fotos von Erika Hubatschek zeigen eine Welt, die heute verschwunden ist, und sie machen zugleich sehr eindrucksvoll und unmittelbar deutlich, dass eine direkte Rückkehr zur Realität der 1940er und 1950er Jahre mit ihrem extrem hohen Stellenwert der Handarbeit heute nicht mehr möglich ist, nicht einmal bei einer vollständigen Umstellung der Berglandwirtschaft auf Ökolandwirtschaft.

Deshalb stellt sich die grundsätzliche Frage, wie diese Fotos heute zu interpretieren sind und welche Bedeutung ihnen in unserer heutigen Zeit zukommt.

Das gesamte publizistische und öffentliche Wirken von Erika Hubatschek ist ein einziges großes Engagement für diese Lebenswelt, die sie so intensiv miterlebt hat. Das Vorwort zur 1. Auflage von „Bauernwerk in den Bergen“ formuliert diese Haltung sehr eindeutig: „Sorgen wir dafür, dass nicht Unvernunft und Raubbau, Geldgier und Habsucht dies alles (gemeint ist: „…eine Landschaft…, die von einer beglückenden Schönheit ist“) bedrohen und schließlich zerstören.“ Und genauso eindeutig sind meines Erachtens ihre Fotografien: Jedes einzelne Bild strahlt eine Würde aus, eine Würde der Personen, der Gegenstände, der Gebäude, der Landschaften und der Lebenswelten, die darin gründet, dass dieses Leben seinen Wert selbstbewusst, aber nicht überheblich in sich trägt. Aus heutiger Sicht muss das Verschwinden dieser Lebenswelt angesichts der zahllosen Homogenisierungen unserer globalisierten Welt als kultureller Verlust bewertet werden. (5)

Gemeinsam mit Erika Hubatschek bin ich der Auffassung, dass ihre Fotografien unserer Gegenwart einen sehr kritischen Spiegel vorhalten und dass diese kritische Dimension keineswegs durch die Bedeutung ihrer Bilder als Dokumentation – die sie auch sind – relativiert oder entschärft werden darf.

Ohne die traditionelle Lebenswelt der Bergbauern zu kennen, lässt sich die heutige Situation der Alpen in wirtschaftlicher, ökologischer und sozio-kultureller Hinsicht nicht angemessen verstehen, und ohne diese Grundlage lässt sich erst recht nicht auf eine sinnvolle Weise über die Zukunft der Alpen diskutieren. Und gegenüber jeder technokratischen oder postmodern-beliebigen Zukunftsperspektive für die Alpen erinnern uns die Bilder von Erika Hubatschek eindrücklich daran, dass menschliches Leben nicht im bloßen Funktionieren aufgeht, sondern dass es eine eigene Würde besitzt, die heute im Kontext ökonomistischer Sachzwänge (Globalisierung) und konformistischer Erwartungen (Erlebnisgesellschaft) verloren zu gehen droht. Auch wenn es heute nicht mehr möglich ist, zu dieser traditionellen Welt zurückzukehren, so können diese Erfahrungen uns helfen, die Zukunftsentwicklung der Alpen so zu gestalten, dass eine neue und andere, aber genauso würdevolle Lebenswelt entsteht.

 

© Prof. Dr. Werner Bätzing, 2007

Der Blick zurück

Interview ORF Wien (2009)

Die Geografin Erika Hubatschek hat über 60 Jahre lang Bergbauern und Landschaften in den Alpen fotografiert.
Die Fotografien bieten einen Blick in eine vergangene Welt, auf heute nicht mehr existierende Landschaften und auf alte Formen der Landwirtschaft. Einige der Bilder sind nun an der Universität für Bodenkultur ausgestellt.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Bergbauern fotografieren?

Als Geografin hab ich mich früh für Bergbauern interessiert. Ich war schon in der Jugend viel in den Bergen und im Rahmen des Studiums habe ich die Umgestaltung der Landschaft durch die Bergbauern als Thema gewählt. Ich habe mir gedacht, am besten ist es dann, wenn ich hinausgehe und mit ihnen arbeite. Das alles habe ich in der Freizeit gemacht – ohne Projekte oder Sponsoren. Als erstes habe ich am Hof meines Großvaters mitgearbeitet. Ich hab mich als Fotografin viel mit der Landschaft beschäftigt. Das hat mir einen Blick ein paar hundert Jahre weit zurück ermöglicht. Damals hat sich ja in ein paar hundert Jahren weniger verändert, als heute in ein paar Jahrzehnten.

Wie war die Arbeit bei den Bauern?

Da ich nicht aus der Landwirtschaft komme, habe ich erst einmal melken und mähen lernen müssen. Damals wurde noch alles mit der Sense gemäht und mit der Hand gemolken. Wenn man mit den Bauern arbeitet, gehört man irgendwie dazu. Ich konnte dann Fotos machen, die sonst niemand hat. Meistens hat man damals in den 1930er-Jahren schöne Höfe und Menschen in Trachten fotografiert, aber nicht die Arbeit und die Geräte. Die Geräte wurden damals noch von den Leuten selbst erfunden. Da gab es keine Kataloge zum Aussuchen.

Vor einigen Jahren hat Ihre Tochter viele der alten Bilder vom gleichen Standort aus wiederholt.
Was hat sich in der Landschaft verändert?

Man sieht auf den Bildern, dass sich nicht alles nur zum Schlechten verändert hat – etwa wie manche Landschaften durch das Landschaftsschutzgesetz erhalten geblieben sind. Auf einem Gasthaus im Ötztal habe ich einmal den Spruch gelesen: „Lebe vernünftig – gedenk an das Künftig“. Heute muss alles nachhaltig sein; die Bauern hatten schon damals diesen Weitblick. Wenn man das übersetzt – lebe vernünftig und denk an die Zukunft – ist das heute ein sehr wichtiger Spruch. Sowas haben die Bauern schon vor Jahrhunderten auf ihr Haus geschrieben.

Was hat sich in der Landwirtschaft in den Jahrzehnten verändert?

Im Jahr 1953 habe ich in Kärnten 4.000 Bauernhöfe siedlungskundlich untersucht. Dann bin ich 1962 wieder hingekommen. Alleine in diesen zehn Jahren sind viele jahrhundertealte Holzbauten verschwunden. Sicher, praktischer und hygienischer ist das Jetzige, aber die modernen Gebäude sind nicht so gewachsen wie die alten. Sie schauen sehr kahl und nüchtern aus. Das lässt sich nicht vermeiden, aber ich bin froh um die alten Bilder, die zeigen, wie die Leute früher gewohnt haben. Früher haben die Anbauten immer dazu gepasst, heute lassen viele Eingriffe die Höfe nicht mehr erfreulich erscheinen.

Bedauern Sie, dass sich die Welt der Bergbauern und die Kulturlandschaft verändern?

Bedauern oder nicht, es muss sich alles verändern, das lässt sich nicht aufhalten. Es kommt nur darauf an, dass die Würde, die die früheren Bauernhöfe gezeigt haben, sich auch in den neuen in irgendeiner Form weiterentwickelt. Es sind nie zwei Bauernhäuser ganz gleich. Jedes ist eine Hauspersönlichkeit für sich. Die alten Höfe hatten Raum für 13 oder 14 Leute, für die vielen Bediensteten. Heute wohnen dort oft nur mehr die Besitzer. Die Räume lassen sich dann ja gut für Urlaub am Bauernhof nutzen. Bei den Bergbauern zeigt die Landschaft, auch wenn sie besiedelt ist, immer noch etwas von der ursprünglichen Landschaft – etwa Gletscher oder Felsen. Im flachen Land ist von der Natur oft fast nichts mehr vorhanden.

Wie hat sich das Leben der Bergbauern aus Ihrer Sicht verändert?

Es ist nicht mehr so beschaulich, wie es trotz der vielen Arbeit früher war. Es ist gut, dass sie nicht mehr so hart und schwer arbeiten müssen, aber es geht natürlich auch so manches dadurch verloren. Zum Beispiel alte Geräte. Oder die Verarbeitung von Flachs zu Leinen. Heute denkt beim Essen eines Leinsamenbrots wahrscheinlich kaum jemand daran, dass die kleinen Körner der Grundstoff für Leinen sind. Die Leinenherstellung war unglaublich viel und eine heikle Arbeit: Der Acker musste schön hergerichtet sein, man musste mit der Hand jäten, dann kommen noch sehr viele weitere Arbeitsgänge hinzu. Im Stubai sagt man zu Leinen „der Haar“. Die Bauern sagen „Der Haar geht durch 72 Händ’, bis er getragen wird“.

Fotografieren Sie heute noch?

Nein. Ich habe so viele Negative, dass ich mehr als genug damit zu tun habe, das alles zu ordnen. Ich habe ja in Kärnten, Salzburg, Tirol, der Steiermark, der Schweiz, aber auch in Nepal und Japan fotografiert. Als ich die Fotos gemacht habe, habe ich nie gedacht, dass das einmal Bücher oder Ausstellungen werden könnten.

Wie viele Fotos haben Sie in ihrem Leben gemacht?

Ich hab alleine 12.000 Schwarz-Weiß-Negative. In Farbe hab habe ich zum Glück wenig fotografiert. Die alten Farbaufnahmen verblassen meist. Die Schwarz-Weißfotos sind viel klarer und besser für eine späte Veröffentlichung geeignet. Mit 71 habe ich meinen eigenen Verlag gegründet, weil ich mit den vorherigen Verlagen nicht zufrieden war. Mit den Büchern und Kalendern kann ich immer wieder anderen Leuten eine Freude bereiten. Manche der Aufnahmen wird man nie wieder machen können – etwa jene von Bergmähdern in 2.600 Metern Höhe.

 

© ORF, 2009

Erika Hubatschek: Ein Leben mit den Bergbauern

Nachruf von Martin Schönhart, BOKU Wien (2010)

 

„In meinem jetzigen Lebenszustand erachte ich es als das Wichtigste, anderen Menschen Freude zu machen“. Das waren Erika Hubatscheks Worte noch im Mai dieses Jahres, wenige Tage bevor sie ihre Augen für immer schloss. Diese Augen sind im Laufe ihres 92 Jahre dauernden Lebens schwächer geworden, zeugten aber bis zuletzt von einer für sie so typischen Willenskraft. Mit dieser Willenskraft, einem wachen Geist für die Besonderheiten ihrer Zeit und ihrer aufgeschlossenen zugänglichen Wesensart schuf Erika Hubatschek ein Werk von unschätzbarem Wert. Sie dokumentierte über Jahrzehnte hinweg das Leben der Bergbauern – ihr Leben mit den Bergbauern.

Erika Hubatschek wuchs in Bruck an der Mur auf. Ihrer Liebe zu Natur und Bergen wegen verschlug es sie während des Studiums nach Innsbruck. Geplant waren zwei Semester, geworden ist es ein ganzes Leben. Erika Hubatschek studierte Geographie, Volkskunde und Leibesübungen und promovierte an der Universität Innsbruck im Fach Agrargeographie mit einer Dissertation zu den Almen und Bergmähdern des oberen Lungaus.

Immer wieder erzählte sie bei unseren Begegnungen von einem richtungsweisenden Sommermorgen als Kind in Bruck an der Mur, als sie von wunderbaren Klängen geweckt wurde. Es war ein vierstimmiger Jodler einer Gruppe von Mäherinnen und Mähern, die am gegenüberliegenden Steilhang ihrem Tagwerk nachgingen. „Wenn es Menschen gibt, die trotz der Anstrengung so schön singen können, dann muss ihnen ihre Arbeit Freude bereiten und etwas Besonderes sein“. Damit begann Erika Hubatscheks Leidenschaft für die Lebens- und Arbeitsweisen der Bergbauern. Ihnen widmete sie neben ihrer Anstellung als Gymnasiallehrerin für Geographie und Leibesübungen in Innsbruck nunmehr ihr gesamtes Wirken: „Ohne sie wäre mein Leben sehr viel ärmer gewesen und – das wollen wir nicht vergessen – auch unser Land sähe heute ganz anders aus.“ Noch lange bevor Wissenschaft und Politik sich mit dem Thema Kulturlandschaft und der bäuerlichen Kultur beschäftigten, erkannte und anerkannte Erika Hubatschek deren Bedeutung für den Alpenraum. Zu Fuß, auf dem Fahrrad oder sogar mit Skiern war sie ab Mitte der 1930er Jahre über Jahrzehnte hinweg in den Alpen unterwegs. Aus dem Zusammenleben mit Bäuerinnen und Bauern, unzähligen Gesprächen und nicht zuletzt der gemeinsamen Arbeit entstand eine einzigartige Dokumentation bergbäuerlichen Lebens und Wirtschaftens im Alpenraum. Die wohl bekanntesten Aspekte ihrer Arbeit sind die zahlreichen Fotografien, die zu dokumentarischen Zwecken und aus Interesse an den Menschen und der sie umgebenden Landschaft entstanden.

Dennoch lehnte Erika Hubatschek für sich die Bezeichnung „Fotografin“ ab. Sie sah sich selbst vielmehr als Geografin und Volkskundlerin und Fotografien als Mittel zur wissenschaftlichen Dokumentation. Niemals, so erwähnte sie öfters, wäre sie dereinst auf die Idee gekommen, mit ihren Fotos Bücher, Vorträge, Ausstellungen oder Kalender zu gestalten: „Ich hab’ einfach versucht, das Wesentliche mit der Kamera einzufangen.“ Dass ihr genau das gelang, bestätigt die Aussage des Geographen und Alpenforschers Werner Bätzing – Professor der Universität Erlangen-Nürnberg – wonach Erika Hubatscheks Bilder eine der bedeutendsten Fotodokumentationen der bäuerlich geprägten Alpen des 20. Jahrhunderts darstellen. Ihre Bilder wurden vielfach sowohl national als auch international gezeigt und ausgezeichnet, so z.B. in der renommierten Leica Gallery in New York. Darüber hinaus trug sie ihr Wissen in ihren mitreißenden Vorträgen weit über die österreichischen Grenzen hinaus. und sorgte mit ihrer umfassenden Publikationstätigkeit – mit über siebzig Jahren gründete Erika Hubatschek noch ihren eigenen Verlag – dafür, dass diese Wissen auch nach ihrem Ableben nicht verloren geht.

Manch Kritiker mag Erika Hubatschek einen verklärenden Blick auf die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Bergbauern und Landarbeiter in den späten Kriegs- und Nachkriegsjahren vorwerfen. Ihre Bilder und Texte beweisen aber – und das führte sie auch in Gesprächen immer wieder aus – dass sie sich dieser Schattenseiten sehr wohl bewusst war. Was sie aber auch oftmals zeigen sind fröhliche Züge in den Gesichtern der Menschen und das scheint eine der bedeutendsten Botschaften zu sein, die Erika Hubatschek ihrer Nachwelt hinterlässt. So wie es Zeit ihres Lebens ihr Wunsch war, anderen Menschen mit ihrer Arbeit Freude zu bereiten, wollte sie mit ihrem Werk auch vermitteln, dass das Leben ein schönes sein kann, selbst wenn es entbehrungsreich ist und dass, umgekehrt, wir Menschen heute nicht unbedingt glücklicher sind, nur weil es uns materiell an nichts mangelt. Oft zitierte sie den Spruch eines „ihrer“ Bergbauern: „Arm is jo nit der, der nix hot, sondern der, der nia gnua kriagt“.

© Martin Schönhart, 2010